Ehegattenunterhalt: Wohnvorteil vs. Zins aus Wohnungsverkauf

„Welche Rolle spielt es für den Unterhalt, wenn ich mietfrei wohne?“ Selbst wenn Sie schon länger im Familienrecht unterwegs sind, müssen Sie bei einer solchen Mandantenfrage womöglich genauer überlegen. Denn die Antwort kann je nach Sachverhalt höchst unterschiedlich ausfallen. Eine aktuelle Entscheidung des BGH ergänzt Ihr Wissen zu diesem Thema – und wir ergänzen die Entscheidung mit nützlichen Praxistipps zum Thema Wohnvorteil und Unterhalt.

BGH, Beschl. v. 09.04.2014 – XII ZB 721/12, DRsp-Nr. 2014/7509

Setzt der aus der Ehewohnung gewichene Ehegatte den Verkaufserlös aus seinem früheren Miteigentumsanteil an der Ehewohnung für den Erwerb einer neuen Wohnung ein, tritt der Wohnvorteil der neuen Wohnung an die Stelle eines Zinses aus dem Erlös (im Anschluss an BGH, Urt. v. 01.10.2008 – XII ZR 62/07, DRsp-Nr. 2008/21777).

Streit um den nachehelichen Aufstockungsunterhalt

Der Fall: Die Beteiligten streiten im Scheidungsverbund noch über nachehelichen Aufstockungsunterhalt. Im Wesentlichen geht es um die Anrechnung eines Wohnvorteils.

 

Wohnsituation der Ehefrau

Das frühere gemeinsame Familienheim, das die Ehegatten übereinstimmend mit 100.000 € bewerten, bewohnt die Ehefrau inzwischen allein. Den hälftigen Miteigentumsanteil des Ehemannes erwarb sie im Rahmen der Vermögensauseinandersetzung gegen Zahlung von 50.000 €.

Wohnsituation des Ehemannes

Der Ehemann verwendete das Geld, um für sich und seine neue Partnerin ein Wohnhaus zu errichten. Beide Ehegatten haben zur teilweisen Finanzierung der Immobilien Darlehen aufgenommen.

BGH: Wohnvorteil zu Unrecht unberücksichtigt

Der BGH beanstandet, dass das OLG bei der Berechnung der beiderseitigen unterhaltsrelevanten Einkünfte den Wohnvorteil zu Unrecht unberücksichtigt gelassen hat.

Wohnvorteil bei Veräußerung des Miteigentumsanteils

Zwar entfallen die Vorteile der mietfreien Nutzung der Ehewohnung, wenn diese im Zusammenhang mit der Scheidung veräußert wird. An ihre Stelle treten aber die Vorteile, die die Ehegatten in Form von Zinseinkünften aus dem Erlös aus ihren Miteigentumsanteilen ziehen (könnten). Das gilt i.d.R. auch dann, wenn die Ehewohnung nicht an Dritte veräußert wird, sondern ein Ehegatte seinen Miteigentumsanteil auf den anderen überträgt.

Wohnvorteil bei Erwerb einer neuen Wohnung

Setzt der gewichene Ehegatte (hier der unterhaltspflichtige Ehemann) den Erlös aus seinem früheren Miteigentumsanteil für den Erwerb einer neuen Wohnung ein, tritt der Wohnvorteil der neuen Wohnung an die Stelle eines Zinses aus dem Erlös. Das unterhaltsrelevante Einkommen des Ehemannes ist somit um den ihm zuzurechnenden Wohnvorteil des neu errichteten Wohnhauses abzüglich der zu berücksichtigenden Kosten erhöht.

Wohnvorteil bei Erwerb des Miteigentumsanteils

Für den übernehmenden Ehegatten (hier die unterhaltsberechtigte Ehefrau) verbleibt es hingegen i.d.R. bei einem Wohnvorteil. Das unterhaltsrelevante Einkommen der Ehefrau ist somit um den vollen Nutzungswert des früheren Familienheims abzüglich ihrer Zinsaufwendungen für das zur Finanzierung des Miteigentumsanteils aufgenommene Darlehen und der Tilgungsaufwendungen erhöht, soweit diese als zusätzliche Altersvorsorge verstanden werden können.

 

Praxishinweis

Die unterhaltsrechtliche Berücksichtigung eines Wohnvorteils löst in der familienrechtlichen Praxis vielfach Streit aus.

Beim Ehegattenunterhalt ist der Anrechnungsmaßstab abhängig vom Zeitpunkt und konkret davon, ob der Ehegatte, der die Wohnung noch nutzt, gehalten ist, sie anderweitig zu verwerten. Bis zur Zustellung des Scheidungsantrags wird i.d.R. nur der Wert angesetzt, der für eine angemessene Wohnung auf dem Wohnungsmarkt aufzuwenden wäre. Dieser richtet sich einerseits nach den persönlichen Verhältnissen und der angemessenen Wohnungsgröße, andererseits nach der finanziellen Situation und den zu zahlenden Mieten. Erst nach der Zustellung des Scheidungsantrags, wenn also mit einer Wiederherstellung der ehelichen Lebensgemeinschaft nicht mehr zu rechnen ist, kommt es auf den tatsächlichen Nutzungswert der früheren Ehewohnung an (BGH, Urt. v. 05.03.2008 – XII ZR 22/06, DRsp-Nr. 2008/8712).

Wird die Wohnung veräußert, tritt der Zins aus dem Erlös als Surrogat für den Wohnwert an die Stelle der früheren Nutzungsvorteile der Wohnung (BGH, Urt. v. 01.10.2008 – XII ZR 62/07, DRsp-Nr. 2008/21777).

Der BGH hat nun geklärt, wie der Wohnwert zu berücksichtigen ist, wenn die Ehewohnung oder der Miteigentumsanteil an den anderen Ehegatten veräußert wurde.

Beim Minderjährigenunterhalt wird der Wohnvorteil mit dem objektiven Mietwert der genutzten Wohnung angesetzt (BGH, Beschl. v. 19.03.2014 – XII ZB 367/12, DRsp-Nr. 2014/6483 und Beschl. v. 10.07.2013 – XII ZB 298/12, DRsp-Nr. 2013/18520).

Beim Elternunterhalt setzt die Rechtsprechung i.d.R. nur die für eine angemessene Wohnung ersparte Miete als unterhaltsrechtlich anzurechnendes Einkommen an (BGH, Urt. v. 19.03.2003 – XII ZR 123/00, DRsp-Nr. 2003/9654). Eine Anrechnung scheidet allerdings aus, wenn das unterhaltspflichtige Kind nicht über eigenes Einkommen verfügt (BGH, Urt. v. 12.12.2012 – XII ZR 43/11, DRsp-Nr. 2013/1392).

Nach der Zustellung des Scheidungsantrags können Rücklagen zur Vermögensbildung – dazu zählt auch die Tilgung von Schulden – unterhaltsrechtlich nicht mehr berücksichtigt werden. Eine Ausnahme gilt nur dann, wenn diese Rücklagen als Altersvorsorge dienen. Auch die Tilgung eigener Verbindlichkeiten, die zur Finanzierung einer Immobilie aufgenommen wurden, wird als Altersvorsorgeaufwendung anerkannt. Dabei sind die Höchstgrenzen – 5 % des Bruttojahreseinkommens beim Anspruch auf Elternunterhalt, 4 % bei den übrigen Unterhaltsansprüchen – zu beachten.

 
Autor: Weiterer Aufsicht führender Richter am AG Dr. Wolfram Viefhues, Oberhausen