Elternunterhalt: Selbst Rabeneltern haben Anspruch

Dass nicht nur Eltern ihren Kindern Unterhalt schulden, sondern umgekehrt auch die Kinder ihren bedürftigen Eltern gegenüber unterhaltspflichtig sind, wird mit der Zunahme gerichtlicher Entscheidungen zum sog. Elternunterhalt immer mehr Menschen bewusst.

Der Verwandtenunterhalt (§§ 1601 ff. BGB) wird vom Prinzip der Gegenseitigkeit beherrscht. Er reicht vom Kindesunterhalt Minderjähriger über den Volljährigenunterhalt bis hin zum Elternunterhalt. Kein Problem, solange sich die Verwandten gut miteinander verstehen. Was aber geschieht in Fällen, in denen Kinder ein schlechtes Verhältnis zu ihren Eltern hatten und nun von dem in Vorleistung getretenen Sozialhilfeträger durch Elternunterhalt zur Kasse gebeten werden?
 

Vernachlässigung mindert nicht die Unterhaltspflicht

Wie jüngst der Bundesgerichtshof entschied (BGH, Urt. v. 15.09.2010 – XII ZR 148/09) können Kinder selbst dann verpflichtet werden, für den Elternunterhalt ihrer pflegebedürftigen Eltern aufzukommen, wenn diese ihre Kinder früher vernachlässigt haben.

Erfolglos wehrte sich der 48-jährige Sohn gegen die Forderungen des Sozialhilfeträgers, der die Erstattung der seit 2005 aufgelaufenen Pflegekosten der Mutter verlangte. Obwohl zwischen Mutter und Sohn seit über 30 Jahren kein Kontakt mehr besteht, muss der Sohn nun Elternunterhalt zahlen.

Kein Verschulden bei schicksalsbedingter Krankheit

Die Mutter litt schon während der Kindheit des Sohnes an einer schweren psychischen Krankheit und hat ihn nur bis zur Trennung und Scheidung von ihrem damaligen Ehemann im Jahr 1973 versorgt. Damals war der Junge 11 Jahre alt. Das ändert jedoch nichts an seiner Unterhaltspflicht.

Eine psychische Erkrankung, die dazu geführt hat, dass der pflegebedürftige Elternteil der früheren Unterhaltsverpflichtung seinem Kind gegenüber nicht gerecht werden konnte, könne nicht als ein schuldhaftes Fehlverhalten im Sinne des § 1611 BGB mit der Konsequenz eines Anspruchsverlusts auf Elternunterhalt betrachtet werden kann, entschied der BGH.

Ausschluss des Übergangs der Unterhaltspflicht nur in engen Grenzen

Weiterhin bestimm § 94 Abs. 3 Nr. 2 SGB XII zwar, dass Unterhaltsansprüche dann nicht auf den Sozialhilfeträger übergehen, wenn dies eine unbillige Härte bedeuten würde. Wegen der vom Gesetz geforderten familiären Solidarität rechtfertigen die als schicksalsbedingt zu qualifizierende Krankheit der Mutter und deren Auswirkungen auf den Beklagten es jedoch nicht, die Unterhaltslast dem Staat aufzubürden.

Etwas anderes gelte nur, wenn der Lebenssachverhalt auch soziale bzw. öffentliche Belange beinhaltet (wie z.B. die kriegsbedingte psychische Erkrankung eines Soldaten in der Entscheidung des BGH v. 21.04.2004 – XII ZR 251/01. Auch aus dem sozialhilferechtlichen Gebot, auf die Interessen und Beziehungen in der Familie Rücksicht zu nehmen, könnten sich soziale Belange ergeben, die einen Übergang des Unterhaltsanspruchs auf die Behörde ausschließen, führt der BGH (etwas vage) aus. Der Ausschluss des Anspruchsübergangs auf den Sozialhilfeträger bleibt damit jedenfalls auf Ausnahmefälle beschränkt.

Fazit
Die Urteilsgründe liegen derzeit noch nicht im Volltext vor. Dennoch scheint es nach dieser Entscheidung so, als müssten sich Kinder im Falle krankheitsbedingter Vernachlässigung durch die Eltern verstärkt auf § 1611 BGB konzentrieren.

Tatbestandsmäßig kommen hierfür drei Fälle in Betracht:

    • sittliches Verschulden,
    • grobe Vernachlässigung der (früheren) eigenen Unterhaltspflicht gegenüber dem in Anspruch genommenen Kind,
    • schwere Verfehlungen gegenüber dem Unterhaltspflichtigen.

Sittliches Verschulden

Unter die Tatbestandsvoraussetzung des sittlichen Verschuldens fallen insbesondere die Fälle der Spiel-, Trunk- und Drogensucht. Allerdings ist zu beachten, dass zusätzlich eine Behandlungsverweigerung vorliegen muss, da der Missbrauch ansonsten als „Krankheit” anzusehen ist (OLG Celle, FamRZ 1990, 1142). Überdies müssen die Folgen des sittlichen Verschuldens noch andauern.

Grobe Vernachlässigung der eigenen Unterhaltspflicht

War der den Elternunterhalt fordernde Elternteil seiner eigenen Unterhaltspflicht gegenüber dem Kind beharrlich nicht nachgekommen, kann dies zu einer Versagung seines Unterhaltsanspruchs bei späterer Bedürftigkeit führen (vgl. AG Leipzig, FamRZ 1997, 965; AG Germersheim, FamRZ 1990, 1387).

Schwere Verfehlungen gegenüber dem Unterhaltspflichtigen

Auch eine schwere Verfehlung gegenüber dem Unterhaltspflichtigen oder sehr nahen Angehörigen kann eine Verwirkung des an sich gegebenen Anspruchs auf Elternunterhalt begründen. So beispielsweise verliert eine Mutter ihren Anspruch auf Elternunterhalt, wenn sie ihr Kind im Kleinkindalter bei den Großeltern zurückgelassen hat, ausgewandert ist und sich in der Folgezeit nicht in nennenswertem Umfang um ihr Kind gekümmert hat (BGH, FamRZ 2004, 1559 m. Anm. Born). Eine Verzeihung kann die Verwirkung indes ausschließen.

Darlegungs- und Beweislast

Die Darlegungs- und Beweislast für die Umstände, die den Wegfall oder die Beschränkung der Unterhaltsverpflichtung begründen, trägt der Unterhaltspflichtige.