Bemessung des Unterhalts bei nachehelichem Karrieresprung

Soweit ein nachehelicher Karrieresprung nur einen neu hinzugetretenen Unterhaltsbedarf auffängt und nicht zu einer Erhöhung des Unterhalts nach den während der Ehe absehbaren Verhältnissen führt, ist das daraus resultierende Einkommen in die Unterhaltsbemessung einzubeziehen.

Dies ergibt sich aus einer Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 17.12.2008 – XII ZR 9/07, DRsp Nr. 2009/3400.

Leitsätze:

a) Bei der Bemessung des nachehelichen Unterhalts nach den ehelichen Lebensverhältnissen (§ 1578 Abs. 1 Satz 1 BGB) sind spätere Änderungen des verfügbaren Einkommens grundsätzlich zu berücksichtigen, und zwar unabhängig davon, wann sie eingetreten sind und ob es sich um Minderungen o-der Verbesserungen handelt. Weil das Unterhaltsrecht den geschiedenen E-hegatten aber nicht besser stellen will, als er während der Ehe stand oder aufgrund einer absehbaren Entwicklung ohne die Scheidung stehen würde, sind grundsätzlich nur solche Steigerungen des verfügbaren Einkommens zu berücksichtigen, die schon in der Ehe absehbar waren, was nicht für einen Einkommenszuwachs infolge eines Karrieresprungs gilt.

b) Schuldet der Unterhaltspflichtige neben dem unterhaltsberechtigten geschiedenen Ehegatten auch nachehelich geborenen Kindern oder einem neuen Ehegatten Unterhalt, sind die neu hinzugekommenen Unterhaltspflichten regelmäßig auch bei der Bemessung der ehelichen Lebensverhältnisse (§ 1578 Abs. 1 BGB) der geschiedenen Ehe zu berücksichtigen.

c) Soweit ein nachehelicher Karrieresprung lediglich einen neu hinzugetretenen Unterhaltsbedarf auffängt und nicht zu einer Erhöhung des Unterhalts nach den während der Ehe absehbaren Verhältnissen führt, ist das daraus resultierende Einkommen in die Unterhaltsbemessung einzubeziehen.

Sachverhalt:

Die Klägerin und der Beklagte hatten 1985 geheiratet und wurden 1998 rechtskräftig geschieden. Mit Vergleich vom 14.03.2004 reduzierten die Parteien die zuvor durch Vergleich vereinbarte monatliche Unterhaltspflicht auf 770,50 €.

Der Beklagte war seit November 1992 Beigeordneter einer Stadt. In den Jahren 2000, 2004 und 2006 wurde er mehrmals befördert, zuletzt auf eine Stelle nach Besoldungsgruppe B7. Seit 1999 ist er neu verheiratet. Die Klägerin ist gelernte Arzthelferin und war als solche bis zur Heirat berufstätig. In der Folgezeit versorgte sie bis zur Scheidung die Familie und plante einen Wiedereinstieg in ihren Beruf. Seit Februar 1999 arbeitet sie als Putzhilfe und erzielt monatliche Einkünfte i.H.v. 400 €.

Das Amtsgericht Moers hatte den Beklagten zur Zahlung rückständigen Unterhalts sowie laufenden Unterhalt i.H.v. monatlich 800 € verurteilt. Die Berufung des Beklagten hat das OLG Düsseldorf mit Urteil vom 18.12.2006 — II-7 UF 154/06 (DRsp Nr. 2007/4249 = FamRZ 2007, 1815 ff.) zurückgewiesen. Auf die Revision des Beklagten hat der BGH das Urteil des Oberlandesgerichts aufgehoben und zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen.

Entscheidungsgründe:

Auszugehen ist bei der Unterhaltsberechnung nach § 1578 Abs. 1 Satz 1 BGB von den „ehelichen Lebensverhältnissen“. Waren dafür lange Zeit die Verhältnisse bei Eintritt der Rechtskraft der Scheidung entscheidend, hat der BGH dieses Stichtagsprinzip in den letzten Jahren immer mehr aufgegeben. So führt der BGH nun auch aus, dass der Wortlaut des Gesetzes keine Fixierung auf einen Stichtag erfordert.

Vielmehr seien nach dem Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung bei der Bemessung des nachehelichen Unterhalts nach den ehelichen Lebensverhältnissen spätere Änderungen des verfügbaren Einkommens grundsätzlich zu berücksichtigen. Dies gelte unabhängig davon, wann die Änderungen eingetreten sind und ob es sich um Minderungen oder Verbesserungen des Einkommens handelt.

Diese Wandelbarkeit der ehelichen Lebensverhältnisse wird lediglich nach dem Zweck des nachehelichen Unterhalts einerseits und der fortwirkenden ehelichen Solidarität andererseits begrenzt. Aus den §§ 1569, 1574 und 1578b BGB ergäbe sich, dass das Unterhaltsrecht den geschiedenen Ehegatten nicht besser stellen wolle, als er während der Ehe stand oder aufgrund einer absehbaren Entwicklung ohne die Scheidung stehen würde. Daraus folge, dass auch bei einer Wandelbarkeit der ehelichen Lebensverhältnisse die während der Ehe gelebten Verhältnisse die Obergrenze eines insoweit entstandenen Vertrauens und damit auch des nachehelichen Unterhalts bilden.

In konsequenter Fortführung der Rechtsprechung zu den wandelbaren ehelichen Lebensverhältnissen kommt der BGH zu dem Ergebnis, dass grundsätzlich auch die Einkünfte aufgrund eines zum Zeitpunkt der Scheidung unerwarteten Karrieresprungs zu berücksichtigen sind, beschränkt durch die während der Ehe gelebten Verhältnisse als Obergrenze. Soweit also ein nachehelicher Karrieresprung lediglich einen neu hinzugetretenen Unterhaltsbedarf auffängt und nicht zu einer Erhöhung des Unterhalts nach den während der Ehe absehbaren Verhältnissen führt, ist auch das aus dem Karrieresprung resultierende Einkommen bei der Unterhaltsberechnung zu berücksichtigen.

Anmerkung:

Die Entscheidung des BGH ist vor dem Hintergrund der Entscheidungen der letzten Jahre zu den wandelbaren ehelichen Lebensverhältnissen konsequent. Begonnen hat diese Entwicklung mit der Entscheidung, dass eine nach der Scheidung aufgenommene Tätigkeit eines betreuenden Elternteils die ehelichen Lebensverhältnisse geprägt hat, wobei hier der „Surrogatsgedanke“ das Stichtagsprinzip noch rettete (vgl. BGH, Urt. v. 13.06.2001 — XII ZR 343/99, DRsp Nr. 2001/9165 = FamRZ 2001, 986 ff.). Fortgesetzt hat der BGH diese Rechtsprechung mit den Entscheidungen, wonach auch nach Rechtskraft der Scheidung geborene oder adoptierte Kinder des Unterhaltspflichtigen die ehelichen Lebensverhältnisse prägen (vgl. BGH, Urt. v. 01.10.2008 — XII ZR 62/07, DRsp Nr. 2008/21777 = FamRZ 2009, 23 ff. und BGH, Urt. v. 15.03.2006 — XII ZR 30/04, DRsp Nr. 2006/10828 = FamRZ 2006, 683 ff.).

Vom Ergebnis her erscheint die Rechtsprechung angemessen. Die besondere Bedürftigkeit minderjähriger Kinder und die mittlerweile bestehende Vorrangigkeit entsprechender Unterhaltspflichten rechtfertigen es ohne weiteres, diese Unterhaltspflichten bei der Bemessung des nachehelichen Unterhalts zu berücksichtigen, unabhängig davon, wann diese Kinder geboren sind.

Wenn aber ein Unterhaltsberechtigter eine Reduzierung des verteilbaren Einkommens des Unterhaltspflichtigen durch weitere Unterhaltsverpflichtungen hinnehmen muss, ist es nur konsequent, auch unerwartete Einkommenssteigerungen bei der Unterhaltsberechnung grundsätzlich zu berücksichtigen. Diese Billigkeitserwägungen zeigen aber bereits, dass die gesamte Argumentation besser unter § 1581 BGB zu subsumieren wäre als unter § 1578 BGB. Bedenken gegen die Rechtsprechung des BGH bestehen daher insbesondere hinsichtlich des dogmatischen Ansatzes (vgl. auch Maurer, FamRZ 2008, 1985 ff.).

Dessen Problematik wird in der vorliegenden Entscheidung besonders deutlich, wenn der BGH ausführt, dass die ehelichen Lebensverhältnisse nach § 1578 Abs. 1 Satz 1 BGB wandelbar sind, aber ein sich danach ergebender Unterhaltsanspruch beschränkt wird durch die während der Ehe gelebten Verhältnisse als Obergrenze. Hier stellt sich die Frage: Was ist der Unterschied zwischen den „während der Ehe gelebten Verhältnissen“ und den „ehelichen Lebensverhältnissen“? Dogmatisch sauberer wäre es gewesen, den Unterhaltsbedarf nach dem ursprünglichen Stichtagsprinzip zu berechnen und nach der Scheidung hinzutretende Unterhaltspflichten über § 1581 BGB im Rahmen der Prüfung der Leistungsfähigkeit zu berücksichtigen.

Autor: Richter am Amtsgericht Stefan Knoche, Büdingen