Folge: Nur bei tatsächlicher Betreuung des Kindes besteht ein Anspruch auf Aufstockungsunterhalt aus § 1573 Abs. 2 BGB
Das bedeutet für den im Familienrecht beratenden Anwalt:
- Regelt nach Veröffentlichung des Urteils vom 12.04.2006 ein Urteil den Anspruch auf Aufstockungsunterhalt gemäß § 1573 Abs. 2 BGB, so ergibt sich weder aus der späteren Rechtsprechung noch aus dem Inkrafttreten neuen Unterhaltsrechts eine wesentliche Änderung der rechtlichen Verhältnisse.
- Auch § 36 Nr. 1 EGZPO bietet hier keine eigenständige Abänderungsmöglichkeit.
- Das gilt auch dann, wenn aus der Ehe Kinder hervorgegangen sind, die von der Unterhaltsberechtigten betreut wurden.
Das rechtliche Problem
Die Frage, unter welchen Voraussetzungen Titel über nachehelichen Unterhalt aus der Zeit vor dem 01.01.2008 in einem Unterhaltsabänderungsverfahren (die frühere Unterhaltsklage) abgeändert werden können, um erstmalig eine Befristung des Unterhaltsanspruchs zu erreichen, beschäftigt intensiv die Rechtsprechung. Die Entscheidung des BGH vom 29.09.2010 – XII ZR 205/08 führt zu einer weiteren Klärung.
Unterhaltsabänderungsverfahren bei wesentlicher Änderung der Verhältnisse
Der BGH betont noch einmal, dass eine Abänderung einer rechtskräftigen Entscheidung über den Unterhalt nur dann möglich ist, wenn sich die für die Bestimmung der Höhe und Dauer der Leistungen maßgebenden Verhältnisse wesentlich geändert haben. Die Grundlagen der Ausgangsentscheidung im Abänderungsverfahren müssen dabei eingehalten werden. Das Unterhaltsabänderungsverfahren (früher Unterhaltsklage) kann wegen der Rechtskraft des Ausgangsurteils nicht dazu genutzt werden, Fehler der Erstentscheidung zu beseitigen.
Soweit der Ersttitel einen Aufstockungsunterhalts nach § 1573 Abs. 2 BGB betrifft, stellt die Einführung des § 1578b BGB keine Rechtsänderung dar. Denn der Gesetzgeber habe nur die frühere Rechtsprechung des BGH zu § 1573 Abs. 5 BGB nachvollzogen (BGH, Urt. v. 12.04.2006 – XII ZR 240/03, FamRZ 2006, 1006).
Reichweite des Urteils vom 12.04.2006 – XII ZR 240/03
Der BGH stellt weiter klar, dass sich die Rechtsprechungsänderung durch die Entscheidung vom 12.04.2006 – XII ZR 240/03 nicht auf kinderlose Ehen beschränkt und erteilt damit ausdrücklich einer entsprechenden, von einzelnen Obergerichte vertretenen Ansicht eine Absage (so OLG Koblenz, Urt. v. 30.09.2009 – 9 UF 230/09, FamRZ 2010, 318; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 16.12.2009 – II-8 WF 185/09, FamRZ 2010, 1084; Finke, FamFR 2010, 90). Daher hätte der Kläger die Befristung und Herabsetzung des Unterhalts bereits im Vorprozess geltend machen können und müssen.
Entscheidend sind die ehebedingten Nachteile
Dass die Ehe der Parteien mit einer Dauer von annähernd fünfzehn Jahren zuzüglich der Zeiten der nachehelichen Kinderbetreuung als Ehe von langer Dauer anzusehen war, hätte die Befristung nicht ausgeschlossen. Statt dessen wäre es schon nach dem Stand der Rechtsprechung zum Zeitpunkt der abschließenden mündlichen Verhandlung vor dem Oberlandesgericht am 01.03.2007 vorwiegend auf die Frage angekommen, ob der Beklagten nach der Scheidung ehebedingte Nachteile verblieben sind. Diese Frage war wegen der unveränderten Tatsachenlage bereits im Vorprozess zu beantworten und nicht erst im vorliegenden Verfahren. Da die Befristung und Herabsetzung des Unterhalts nicht lediglich auf eine Einrede des Unterhaltspflichtigen, sondern bei entsprechendem Sachvortrag von Amts wegen zu überprüfen waren, schließt die Rechtskraft des Ausgangsurteils jedenfalls bei unveränderter Tatsachenlage eine künftige Befristung und Herabsetzung des Unterhalts aus.
Ausnahme
Etwas anderes gilt dann, wenn das Gericht in den Entscheidungsgründen die künftige Befristung etwa wegen einer noch nicht zuverlässig absehbaren Entwicklung der Verhältnisse ausdrücklich offen lässt. Dann ist die Rechtskraft der Entscheidung entsprechend eingeschränkt und steht einer späteren Geltendmachung des Befristungseinwands durch den Unterhaltspflichtigen selbst dann nicht entgegen, wenn über eine Befristung richtigerweise bereits im Ausgangsverfahren hätte entschieden werden müssen (vgl. BGH, Urt. v. 26.05.2010 – XII ZR 143/08, FamRZ 2010, 1238 Rdnr. 13, 23 m.w.N zur Abänderung eines Prozessvergleichs).
Keine eigenständige Abänderungsmöglichkeit
Der BGH erneuert seine Bewertung, dass § 36 Nr. 1 EGZPO keine eigenständige Abänderungsmöglichkeit beinhaltet, sondern lediglich klarstellt, dass die Gesetzesänderung ein Anwendungsfall des § 323 Abs. 1 ZPO (a.F.) ist (so schon BGH, Urt. v. 18.11.2009 – XII ZR 65/09, FamRZ 2010, 111.
Praxishinweis Die Situation ist anders bei unterhaltsrechtlichen Vereinbarungen (Ehescheidungsfolgenregelungen). Dort geht der BGH davon aus, dass die Beteiligten bei der Erstfestsetzung des nachehelichen Unterhalts im Zusammenhang mit der Scheidung nach ihren Vorstellungen im Zweifel noch keinen späteren Ausschluss einer Unterhaltsbegrenzung vereinbaren wollen (BGH, Urt. v. 26.05.2010 – XII ZR 143/08, FamRZ 2010, 1238 Rdnr. 23). Die Befristung muss im gerichtlichen Erstverfahren auf Befristung des Unterhaltes durchgesetzt werden. Hierzu ist anwaltlicher Sachvortrag unverzichtbar. Die Darlegungs- und Beweislast für diejenigen Tatsachen, die Grundlage für eine Beschränkung nach § 1578b BGB werden sollen, trägt grundsätzlich der Unterhaltsverpflichtete (BGH FamRZ 2008, 134; OLG Schleswig NJW 2009, 1216; OLG Hamm FamRZ 2008, 1000, 1001), jedoch kann die Unterhaltsberechtigte sich nicht darauf verlassen, keinerlei Darlegungen machen zu müssen Angesichts des Wechselspiels der Darlegungs- Und Beweislast (vgl. BGH FamRZ 2010, 875 mit Anm. Finke = FF 2010, 245 mit Anm. Bömelburg; BGH, Urt. v. 14.10.2009 – XII ZR 146/08, FamRZ 2009, 1990; BGH FamRZ 2010, 875 mit Anm. Finke = FF 2010, 245 mit Anm. Bömelburg; BGH FamRZ 2008, 1325 mit Anm. Borth = FPR 2008, 379 mit Anm. Schwolow = FuR 2008, 401 mit Anm. Soyka; vgl. auch BGH FamRZ 2008, 1911 mit Anm. Maurer FamRZ 2008, 1919) sollten beide Seiten ausreichend zum Thema vortragen. |
Verfasser:
Dr. Wolfram Viefhues
weitere Aufsicht führender Richter am Amtsgericht Oberhausen