Türkisches Güterrecht anschaulich erklärt am Beispielfall

Güterrecht mit Türkei-Bezug beschäftigt Sie als Anwalt im Familienrecht immer wieder. Umso wichtiger ist es, die Besonderheiten des türkischen Güterrechts zu kennen – und zuvor das anzuwendende Güterrecht sicher zu bestimmen. Deshalb geben wir Ihnen mit der folgenden typischen Mandatssituation einen profunden Überblick für Ihre eigenen Güterrechtsfälle mit Türkei-Bezug.

Güterrechtlicher Ausgleich? Das ist hier die Frage

Der Sachverhalt: Dilek sucht Sie Anfang Oktober 2018 auf und berichtet Folgendes:

Sie und ihr Ehemann Kemal hätten 1996 in Istanbul die Ehe geschlossen und bis Mitte 2001 auch in Istanbul bei ihren Schwiegereltern gewohnt.

Dilek gehe davon aus, dass beide Eheleute zum damaligen Zeitpunkt türkische Staatsangehörige gewesen seien. Sie wisse noch, dass die Ehe am 20.12.2014 in Hannover geschieden worden sei.

Ihres Wissens habe Kemal Anfang 2004 aufgrund seines Verdiensts in der Türkei ein Haus in Istanbul mit den Ersparnissen aus geleisteter Arbeit erworben.

Sie nehme an, dass der damalige Kaufpreis wohl 120.000 Euro betragen habe. Sie habe zum Erwerb aus einer ihr am 12.02.2003 zugeflossenen Erbschaft 20.000 Euro sowie zusätzlich 10.000 Euro aus den Ersparnissen aus ihren Arbeitseinkünften für das Haus beigesteuert.

Ein befreundeter türkischer Architekt habe ihr mitgeteilt, dass das Haus am 01.09.2014 einen Verkehrswert von 192.000 Euro habe.

Unterlagen hinsichtlich des Hauses besitze sie nicht. Denn Ihr Mann habe ihr mitgeteilt, das gehe sie jetzt nichts mehr an.

Dilek will von Ihnen am 01.10.2018 wissen, ob ihr ein güterrechtlicher Ausgleich zustehe.

Checkliste: Türkisches Güterrecht

Um den Fall lösen zu können, benötogen Sie von Dilek zunächst Sie folgende Unterlagen:

  • Scheidungsurteil
  • Nachweis der jeweiligen Staatsangehörigkeit zum Zeitpunkt der Eheschließung
  • Nachweise, wie lange sie in der Türkei nach Eheschließung gewohnt hat
  • ggf. auch Vorliegen eines Ehevertrags mit Rechtswahl
  • Unterlagen hinsichtlich ihres Erbes
  • Nachweise über ihre Ersparnisse aus Arbeitseinkünften
  • Bestätigung des Architekten über den Verkehrswert des Hauses
  • Grundbuchauszug, soweit möglich

Sofern es um etwaige Unterlagen zum damaligen Kaufvertrag gehen sollte, bitten Sie Kemal um Auskunft zur Bestimmung des damaligen Vermögenswerts.

Schritt 1: Was ist das anzuwendende Recht?

Als erstes müssen Sie sich einen eingehenden Überblick über das anwendbare Recht und die güterrechtliche Problematik verschaffen.

Sofern beide Eheleute zum Zeitpunkt der Eheschließung die türkische Staatsangehörigkeit besessen haben, ist nach Art. 15 Abs. 1 EGBGB türkisches Recht anzuwenden, sofern von dem Wahlrecht nach Art. 15 Abs. 2 EGBGB kein Gebrauch gemacht worden ist.

Ist dies nicht der Fall, sprechen die Umstände (Eheschließung in der Türkei, längerer Eheaufenthalt in Istanbul) ebenfalls für die Anwendbarkeit des türkischen Ehegüterrechts, auch wenn einer der Eheleute die deutsche Staatsangehörigkeit – was unwahrscheinlich ist – besessen haben sollte.

Falls wider Erwarten beide Eheleute die deutsche Staatsangehörigkeit besessen haben sollten, wäre allerdings nach Art. 15 Abs. 1 i.V.m. Art. 14 Abs. 1 Nr. 1 EGBGB deutsches Ehegüterrecht maßgebend.

Warnhinweis: Um eine Haftung zu vermeiden, müssen Sie sich vom maßgeblich anzuwendenden Recht vergewissern.
Falls auf türkisches Recht abzustellen ist, ist Folgendes zu beachten:

Errungenschaftsbeteiligung nach Art 218 türkZGB

Bis zum 31.12.2001 galt in der Türkei die Gütertrennung als der gesetzliche Güterstand, sofern keine besonderen Vereinbarungen – als Regelfall – getroffen worden sind.

Ab dem 01.01.2002 gilt in der Türkei die dem Schweizer Recht nachgebildete Errungenschaftsbeteiligung nach Art. 218 türkZGB.

Im Hinblick auf vor dem 01.01.2002 geschlossene Ehen ist nach Art. 10 des Einführungsgesetzes zum türkZGB ab dem 01.01.2002 auch für Altehen die Errungenschaftsbeteiligung der gesetzliche Güterstand, sofern die Eheleute bis zum 31.12.2002 keine anderweitigen Vereinbarungen getroffen haben.

Maßgebend ist – sofern Dilek keine anderweitigen Vereinbarungen vorlegen sollte – ab dem 01.01.2002 die Errungenschaftsbeteiligung, die mit der Erhebung (Rechtshängigkeit mit Registrierung des Klageantrags, § 178 türkZPO) des Scheidungsantrags nach Art. 225 Abs. 2 türkZGB endet.

Ort der belegenen Sache nach Art. 15 Abs. 2 tIPRG

Allerdings ist hinsichtlich der Anwendung des türkischen Ehegüterrechts noch die Rückverweisung nach Art. 15 Abs. 2 tIPRG zu beachten, wonach es hinsichtlich einer Immobilie auf den Ort der belegenen Sache ankommt.

Befindet sich die Immobilie in Deutschland, ist deutsches Recht anzuwenden (Güterrechtsspaltung; eingehender OLG Bremen, Beschl. v. 07.05.2015 – 4 WF 52/15 , FamRZ 2016, 128; zur Problematik bei einer Immobilie in Deutschland und in der Türkei bei Erwerb vor dem 01.01.2002 und der erforderlichen Korrektur durch Anpassung vgl. Odendahl, FamRZ 2009, 567, 570; vgl. allgemein auch Ludwig, DNotZ 2000, 663 ff.).

Befindet sich die Immobilie dagegen in der Türkei, ist türkisches Recht maßgebend.

Nachdem sich die Immobilie in Istanbul befindet, verbleibt es für das gesamte Vermögen beim türkischen Ehegüterrecht.

Nach Art. 218 türkZGB umfasst die Errungenschaftsbeteiligung die Errungenschaft beider Eheleute während der Ehezeit und das jeweilige Eigengut, allerdings beschränkt auf den Wertzuwachs ab dem 01.01.2002.

Eigengut und Errungenschaft nach Art. 219 f. türkZGB

Nach der Legaldefinition des Art. 219 Satz 1 türkZGB sind unter der Errungenschaft diejenigen Vermögenswerte anzusehen, die ein Ehegatte während der Dauer des Güterstands entgeltlich erwirbt, nach Satz 2 insbesondere Arbeitseinkünfte, Rentenleistungen, Erwerbsunfähigkeitsrenten, die Erträgnisse aus dem Eigengut sowie Surrogate der Errungenschaft.

Eigengut nach Art. 220 türkZGB sind die Gegenstände, die einem Ehegatten ausschließlich zum persönlichen Gebrauch dienen, die Vermögenswerte, die einem Ehegatten zu Beginn des Güterstands alleine gehören oder die er erbt bzw. unentgeltlich erhält, weiterhin Schmerzensgeldansprüche und Surrogate des Eigenguts.

Daneben besteht nach Art. 221 türkZGB die Möglichkeit der vertraglichen Erklärung zum Eigengut.

Die Beweislast für sein Eigengut trägt nach Art. 222 Abs. 1 türkZGB der sich darauf berufende Ehegatte, ansonsten besteht nach Abs. 2 Miteigentum.

Bis zum Beweis des Gegenteils gilt nach Abs. 3 alles Vermögen eines Ehegatten als Errungenschaft. Insoweit wird nach Art. 216 Abs. 1 türkZGB die Errichtung eines Inventars der einem Ehegatten gehörenden Vermögenswerte ermöglicht.

Rechtsfolge der Beendigung des Güterstands

Rechtsfolge der Beendigung des Güterstandes nach Art. 225 Abs. 2 türkZGB ist zunächst gem. Art. 226 Abs. 1 türkZGB die Berechtigung jedes Ehegatten, die im Besitz des anderen befindlichen Vermögenswerte zurückzuverlangen.

Bei Miteigentum kann ein Ehegatte bei Nachweis eines überwiegenden Interesses verlangen, dass ihm gegen Wertausgleich dieser Vermögenswert nach Abs. 2 überlassen wird. (Anm.: Dann ist aber auch ein Übertragungsantrag zu stellen!)

Nach Art. 226 Abs.3 türkZGB können die Ehegatten ihre gegenseitigen Verbindlichkeiten durch Vereinbarung regeln.

Mehrwertausgleich nach Art. 227 türkZGB

Der eigentliche Mehrwertausgleich erfolgt dagegen, unabhängig davon, ob es sich um Errungenschaft oder Eigengut handelt, nach Art. 227 türkZGB.

Danach erwirbt ein Ehegatte, der zum Erwerb, zur Verbesserung oder zur Erhaltung eines Vermögensgegenstands ganz oder ohne angemessene Vermögensleistung beigetragen hat, eine Forderung in Höhe seines Mehrwertanteils.

Maßgebend ist der Wert des Vermögensgegenstands bei Beendigung des Güterstands. Sofern sich dagegen der Wert verringert haben sollte, erhält der Ehegatte seinen geleisteten Beitrag zurück.

Bei mehreren Vermögenspositionen werden etwaige Gewinne mit etwaigen Verlusten verrechnet (Globalrechnung), um eine Besserstellung zu vermeiden (Odendahl, FamRZ 2003, 648, 652).

Über Art. 229 türkZGB erfolgt eine Zurechnung bestimmter Vermögenspositionen, insbesondere illoyaler Verfügungen.

Ausgleich zwischen Errungenschaft und Eigengut

Gemäß Art. 230 türkZGB erfolgt auch ein Ausgleich zwischen Errungenschaft und Eigengut eines Ehegatten, sofern mit Hilfe eines Vermögenswerts Verbindlichkeiten des anderen Vermögenswerts getilgt worden sind.

Nach Art. 231 türkZGB kann sodann der eigentliche Wertzuwachs errechnet werden. Maßgebend ist hierbei nach Art. 232 türkZGB der Verkehrswert im Zeitpunkt der Auseinandersetzung, wobei i.d.R. auf den Zeitpunkt der Beweisaufnahme abzustellen ist; eine Schätzung über die weitere Entwicklung dürfte zulässig sein (Odendahl, FamRZ 2003, 648, 655; einschränkend wohl Seker, FamRZ 2007, 1779, 1786).

Nach Art. 236 Abs. 1 türkZGB steht dem anderen Ehegatten die Hälfte des Wertzuwachses zu.

Nach Art. 236 Abs. 2 türkZGB kann dieser Ausgleichsanspruch aber aus Billigkeitsgesichtspunkten wegen Ehebruch oder Tötungsversuch eingeschränkt werden.

Nach Art. 239 türkZGB hat der Ausgleich wahlweise in Geld oder Sachen zu erfolgen, wobei nach Abs. 2 ggf. auch eine Stundung möglich ist.

Wie sieht Ihre Beratung aus?

Dilek wäre also wie folgt zu beraten:

Zunächst zur Antragstellung: Um den Güterstand zu beenden, ist ein Antrag bei Gericht einzureichen, wobei es auf die aktenmäßige Erfassung durch die Geschäftsstelle ankommt.

Da die Ehe bereits geschieden ist, muss noch festgestellt werden, wann der Scheidungsantrag beim Familiengericht in Hannover eingegangen ist.

Auskunftsanspruch auf das gesamte Vermögen des Ehemannes

Benötigt Dilek noch Auskünfte kann sie gegenüber Kemal entweder den Anspruch auf Erstellung eines Inventarverzeichnisses nach Art. 216 Abs. 1 türkZGB oder ergänzend den allgemeinen Auskunftsanspruch nach deutschem Recht geltend machen.

Der Anspruch bezieht sich auf das gesamte Vermögen des Ehemannes, wobei dieser im Einzelnen darzutun hat, welche Bestandteile seines Vermögens bereits zum 01.01.2002 existiert haben (OLG Hamm, FamRZ 2006, 1383, 1384).

Berechnung des güterrechtlichen Ausgleichs

Sofern die jeweiligen Errungenschaften nach dem 31.12.2001 erworben worden sind, ergäbe sich nach vorläufiger Berechnung Folgendes:

An dem Haus von Kemal, das insgesamt eine Wertsteigerung von 72.000 Euro erfahren hat, trug Dilek ursprünglich einen Aufwand i.H.v. insgesamt 30.000 Euro, aus dem Eigengut 20.000 Euro, aus der Errungenschaft 10.000 Euro, mithin 1/4 des damaligen Kaufpreises.

Ihr Eigengut hat daher im Verhältnis 2 : 1 zur geleisteten (Eigen-)Errungenschaft einen Anspruch gegen die Errungenschaft von Kemal i.H.v. insgesamt 1/4 von 72.000 Euro, mithin 18.000 Euro, wovon 12.000 Euro auf das Eigengut, 6.000 Euro auf die Errungenschaft entfallen.

Dilek stünde ein Anspruch i.H.v. 32.000 Euro aus dem Eigengut und i.H.v. 16.000 Euro aus ihrer Errungenschaft gegen die Errungenschaft Kemals zu.

Nachdem keine anderen Mehrwertbeteiligungen vorliegen, ist der Anspruch der Errungenschaft von Dilek nicht zu berücksichtigen, da das Ergebnis der Ausgleichsbilanz nicht mehr beeinflusst werden kann.

Nach Abzug des Anspruchs des Eigenguts verbleibt ein verminderter Wertzuwachs bei Kemal i.H.v. 160.000 Euro. Hiervon erhält Dilek die Hälfte i.H.v. 80.000 Euro. Insgesamt hat Dilek einen Anspruch i.H.v. 112.000 Euro gegen die Errungenschaft von Kemal.

Über Verjährung aufklären

Aufzuklären ist Dilek noch über eine evtl. Verjährung güterrechtlicher Ansprüche.

Hierzu werden im türkischen Schrifttum unterschiedliche Ansichten vertreten (teilweise nur ein Jahr, teilweise bis zu 10 Jahren; vgl. im Einzelnen Cataltepe, Türkisches Eherecht 2014, 8/373 ff.).

Nach Ansicht des Großen Zivilsenats des Türkischen Kassationshofs (zit. bei Zeytin, NZFam 2016, 450, 453 Fn. 43) ist von einer Frist von zehn Jahren auszugehen.

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