Kein Aufenthaltsbestimmungsrecht mehr? Übriges Sorgerecht darf nicht missachtet werden!

Auch wenn Ihr Mandant nur noch über Teilbereiche der elterlichen Sorge verfügt, bleibt er grundsätzlich sorgeberechtigt. Er ist damit an Entscheidungsprozessen, die sein Kind betreffen, zwingend zu beteiligen. Das hat jetzt das BGH in einer richtungsweisenden Entscheidung festgelegt.

BGH, Beschl. v. 04.06.2014 – XII ZB 353/13, DRsp-Nr. 2014/10759

Der Elternteil, dem u.a. das Aufenthaltsbestimmungsrecht entzogen worden ist, der aber noch über Teilbereiche des Sorgerechts verfügt, ist an dem von den Pflegeeltern und dem Ergänzungspfleger geführten Verfahren der Anordnung des Verbleibs des Kindes in der Pflegefamilie nach § 1632 Abs. 4 BGB grundsätzlich zu beteiligen.

 

Beteiligung des noch teilweise Sorgeberechtigten an einem Verbleibensanordnungsverfahren

Der Mutter eines im August 2006 geborenen Kindes wurden im Dezember 2011 verschiedene Teilbereiche des Sorgerechts entzogen:

  • das Recht zur Aufenthaltsbestimmung,
  • zur Zuführung zu medizinischen Behandlungen,
  • zur Beantragung von Jugendhilfemaßnahmen nach den §§ 27 ff. SGB VIII
  • zur Ausbildungs- und Berufswahl und
  • zur Regelung der Passangelegenheiten

Gleichzeitig wurde ein Ergänzungspfleger bestellt. Das Kind lebt bereits seit Januar 2011 bei Pflegeeltern. Der Ergänzungspfleger beabsichtigt, es aus der Pflegefamilie herauszunehmen und in einem Kinderheim unterzubringen, weil die Pflegeeltern mit der leiblichen Mutter konkurrieren und den Umgang des Kindes mit ihr ablehnen.

Mutter will am Sorgerechts-Verfahren beteiligt werden

Daraufhin haben die Pflegeeltern beim AG beantragt, den Verbleib des Kindes bei ihnen anzuordnen. Den Antrag der Mutter, sie an diesem Verfahren zu beteiligen, hat das AG mit Beschluss vom 10.04.2013 zurückgewiesen.

Mit Beschluss vom 07.05.2013 hat das AG den Verbleib des Kindes bei den Pflegeeltern bis auf Weiteres angeordnet. Die (übrigen) Beteiligten haben auf Rechtsmittel verzichtet. Das OLG hat die gegen den erstgenannten Beschluss gerichtete Beschwerde der Mutter zurückgewiesen. Dagegen wendet sich die Mutter mit der Rechtsbeschwerde.

BGH gibt der Mutter Recht

Die Rechtsbeschwerde ist zulässig und begründet. Das Rechtsschutzbedürfnis der Mutter ist für die Rechtsbeschwerde nicht entfallen, selbst wenn das AG die Anordnung bereits erlassen hat und die übrigen Beteiligten auf ein Rechtsmittel dagegen verzichtet haben.

Denn ohne eine erforderliche Beteiligung der Mutter wäre die Entscheidung des AG nicht in formelle Rechtskraft erwachsen. Durch eine unterbliebene Beteiligung würde diese Entscheidung zwar nicht nichtig, aber anfechtbar (vgl. Keidel/Zimmermann, FamFG, 17. Auflage 2011, § 7 Rdnr. 20).

Beteiligung der Mutter am sorgerechtlichen Verfahren erforderlich

Die Mutter hätte an dem Verfahren beteiligt werden müssen, zu diesem Schluss kommt der BGH in seiner Entscheidung.

Das OLG hat seine Entscheidung damit begründet, dass es lediglich um die Frage gehe, wo das Kind leben solle. Davon sei das Sorgerecht der Mutter nicht betroffen, weil ihr das Aufenthaltsbestimmungsrecht bereits entzogen worden sei. Ein durch Abstammung begründetes Elternrecht werde in der vorliegenden Fallkonstellation gerade nicht unmittelbar beeinträchtigt.

Unmittelbare Betroffenheit von Rechten der Sorgerechtsinhaberin

Das hält der rechtlichen Überprüfung jedoch nicht stand. Gemäß § 7 Abs. 2 Nr. 1 FamFG sind als sogenannte Mussbeteiligte diejenigen hinzuzuziehen, deren Recht durch das Verfahren unmittelbar betroffen wird, womit eine direkte Auswirkung auf eigene materielle, nach öffentlichem oder privatem Recht geschützte Positionen gemeint ist.

Es genügt nicht, dass lediglich ideelle, soziale oder wirtschaftliche Interessen durch den Ausgang des Verfahrens berührt werden. Nicht ausreichend sind des Weiteren rein mittelbare Auswirkungen einer Entscheidung oder die lediglich tatsächlich „präjudizielle“ Wirkung auf andere, gleich gelagerte Fälle.

Mutter als Mussbeteiligte

Die Voraussetzungen für eine Beteiligung der Mutter sind hier erfüllt. Die Mutter ist nach wie vor Sorgerechtsinhaberin. Auch wenn ihr bereits erhebliche Teile des Sorgerechts entzogen worden sind, wird sie durch die Entscheidung über die Verbleibensanordnung unmittelbar in dem ihr verbliebenen Sorgerecht aus § 1626 Abs. 1 BGB und damit in ihrem Elternrecht aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG betroffen.

Das Recht zur Erziehung ihres Kindes und auch die Vermögenssorge sind der Mutter verblieben. Dabei ist das in § 1631 Abs. 1 BGB geregelte Recht auf Erziehung ein wesentlicher Bestandteil der Personensorge (Rakete-Dombek, NK-BGB, 3. Auflage 2014, § 1626 Rdnr. 11).

Unmittelbare Auswirkungen des Verfahrens auf das Erziehungsrecht der Mutter

Zwar hat das Verfahren der Verbleibensanordnung in erster Linie den Aufenthalt des Kindes zum Gegenstand, dessen Bestimmung der Mutter entzogen ist.

Die Entscheidung darüber, wo das Kind lebt, betrifft die Mutter indes unmittelbar in der Ausübung des ihr verbliebenen Sorgerechts und damit in ihrem Elternrecht.

Für die Erziehung des Kindes und die Möglichkeit der Mutter, darauf Einfluss zu nehmen, ist von erheblicher Bedeutung, wo es aufwächst.

Auch wenn das Recht zur Bestimmung des Kindesaufenthalts eng mit der Wahrnehmung der Erziehung des Kindes verknüpft ist (Huber, MüKo-BGB, 6. Auflage 2013, § 1631 Rdnr. 15), führt die Entziehung des Aufenthaltsbestimmungsrechts nicht dazu, dass damit zugleich das Recht auf Erziehung entzogen wäre.

Dies ergibt sich bereits daraus, dass beide Teilbereiche in § 1631 Abs. 1 BGB selbstständig nebeneinanderstehen

Unmittelbare Auswirkungen des Verfahrens auf das Umgangsrecht der Mutter

Die Intention des Ergänzungspflegers war, durch die Herausnahme des Kindes aus der Pflegefamilie dessen Umgang mit seiner Mutter dauerhaft zu gewährleisten und ersichtlich dem – durch Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG geschützten – Umgangsrecht der Mutter Rechnung zu tragen.

Daraus folgt, dass die Entscheidung über den Verbleib des Kindes auch unmittelbare Auswirkungen auf das grundrechtlich geschützte Umgangsrecht der Mutter hat.

Folgerungen aus der BGH-Entscheidung

Die Personensorge umfasst verschiedene Bestandteile. Wenn Eltern in Teilbereichen der Personensorge für ihr Kind überfordert sind, besteht die Möglichkeit, diese auf Dritte zu übertragen.

Dadurch verlieren sie ihr Sorgerecht aber nicht gänzlich. Solange ihnen selbst noch ein Teilbereich der elterlichen Sorge obliegt, nehmen sie weiter aktiv an den Entscheidungen über die Erziehung ihres Kindes teil.

Gewichtet werden die verschiedenen Teilbereiche nicht. Ein Elternteil, der trotz der Entziehung von Teilbereichen noch über Restbereiche der elterlichen Sorge verfügt, ist an einem Verfahren der Anordnung des Verbleibs seines Kindes zwingend zu beteiligen.

Diese Pflicht zur Beteiligung entfällt auch nicht dann, wenn das Recht zur Aufenthaltsbestimmung entzogen wurde.

Praxishinweis:

Solange ein Elternteil noch über Teilbereiche der elterlichen Sorge verfügt, bleibt er sorgeberechtigt und somit an Entscheidungsprozessen, die sein Kind betreffen, zwingend zu beteiligen. Dabei kommt es nicht darauf an, welche Bestandteile der elterlichen Sorge ihm belassen und welche ihm entzogen wurden, denn gewichtet werden die Sorgerechtsbereiche nicht.

 

Autorin: Ass. jur. Nicole Seier, Gelsenkirchen