Vergessenen Altersvorsorgeunterhalt nachzufordern ist normalerweise nicht möglich – es sei denn, der Unterhaltsberechtigte hat sich diese Nachforderung im Erstverfahren vorbehalten. Für Sie als Anwalt sorgt dieser Grundsatz sogar für Gefahr, da Sie leicht in die Haftungsfalle tappen können.
Aktuelle BGH-Entscheidung zum Altersvorsorgeunterhalt
Vorneweg: Das Thema „Nachforderung von bisher unberücksichtigtem Altersvorsorgeunterhalt“ ist mit einer BGH-Entscheidung vom 19.11.2014 (XII ZB 478/13) erst kürzlich wieder in der Fachwelt aufgetaucht – als Fortführung von BGH, Urt. v. 03.04.1985 – IVb ZR 19/84.
In dem aktuellen Fall streiten die rechtskräftig geschiedenen Ehegatten um den Altersvorsorgeunterhalt für einen Teil der Trennungszeit.
Ausgangspunkt war ein erstes Unterhaltsverfahren, in dem der Antragsgegner verpflichtet wurde, für die Zeit seit Juni 2009 laufenden Trennungsunterhalt zu zahlen. Die Unterhaltsbemessung beruhte auf einer konkreten Bedarfsermittlung.
Ergebnis des Abänderungsunterhaltsverfahrens
Mit einem am 09.12.2011 zugestellten Abänderungsantrag verlangte die Antragstellerin wegen höherer Wohnkosten eine Erhöhung des laufenden Trennungsunterhalts. Durch Beschluss vom 08.05.2012 wurde der Unterhalt unter Abänderung des Ausgangsbeschlusses teilweise erhöht.
Die von beiden Ehegatten dagegen eingelegten wechselseitigen Beschwerden wurden am 23.11.2012 zurückgenommen. Die Scheidung der Beteiligten ist seit dem 06.09.2013 rechtskräftig.
Weiteres Verfahren für „vergessenen“ Altersvorsorgeunterhalt
Im vorliegenden Verfahren begehrt die Antragstellerin nun, ihr für die Zeit seit Juni 2009 über den bereits titulierten Trennungsunterhalt hinaus einen rückständigen und laufenden Altersvorsorgeunterhalt zuzusprechen.
Das AG hat diesem Antrag teilweise entsprochen. Dagegen haben beide Beteiligten Beschwerde eingelegt.
Während die Beschwerde der Antragstellerin erfolglos geblieben ist, hat das KG die angefochtene Entscheidung des AG auf das Rechtsmittel des Antragsgegners geändert und den Antrag insgesamt als unzulässig zurückgewiesen.
Dagegen wendet sich die Rechtsbeschwerde der Antragstellerin, mit der sie ihren Antrag auf Zahlung von Altersvorsorgeunterhalt seit Juni 2009 weiterverfolgt.
Allerdings hat die Rechtsbeschwerde keinen Erfolg. Folgende Punkte führt das BGH dazu auf:
1. Zulässigkeit des Nachforderungsantrags
Der Zulässigkeit des von der Antragstellerin gestellten Nachforderungsantrags steht die Rechtskraft der in den Trennungsunterhaltsverfahren ergangenen Entscheidungen entgegen.
Das Problem der sogenannten verdeckten Teilklage kann sich nicht stellen, wenn in einem Vorprozess wiederkehrende Leistungen i.S.v. § 258 ZPO zuerkannt worden sind.
Hat die im Vorprozess obsiegende Partei darin nur scheinbar die volle Leistung geltend gemacht, kann sie in einem späteren Prozess um eine Nachforderung von Vorsorgeunterhalt dem Einwand entgegenstehender Rechtskraft nicht mit dem Argument begegnen, dass sich die Rechtskraft der im Vorprozess erstrittenen Entscheidung von vornherein nur auf den dort eingeklagten Betrag beschränke.
2. Zulässigkeit einer isolierten Zusatz- oder Nachforderungsklage
Nach rechtskräftiger Verurteilung zu wiederkehrenden Leistungen ist eine Klage auf zusätzliche Leistungen nur unter den Voraussetzungen und im Umfang des § 323 ZPO zulässig.
3. Zusatz- oder Nachforderungsklage nur nach titulierten Teilbeträgen
Die Forderung zusätzlichen Unterhalts im Wege eines Zusatz- oder Nachforderungsantrags ist folglich nur dann möglich, wenn sich der schon vorliegende Unterhaltstitel eindeutig nur auf einen Teilbetrag des geschuldeten Unterhalts beschränkt.
Das ist jedoch nur dann anzunehmen, wenn im Vorprozess ausdrücklich erklärt oder aus den Umständen eindeutig zu entnehmen war, dass die in bestimmter Höhe begehrten wiederkehrenden Leistungen nur einen Teil einer an sich höheren Forderung darstellen.
4. Auslegung von Unterhaltsanträgen
Im Unterhaltsrecht ist im Zweifel davon auszugehen, dass Unterhalt in voller Höhe geltend gemacht wird, sodass die Vermutung gegen das Vorliegen eines Teilantrags spricht.
Für die Annahme eines Teilantrags ist daher zu fordern, dass der Unterhaltsberechtigte im Erstverfahren entweder ausdrücklich einen Unterhaltsteilanspruch geltend gemacht oder sich wenigstens erkennbar eine Nachforderung von Unterhalt vorbehalten hat.
5. Zulässigkeit einer Nachforderung von Vorsorgeunterhalt
Für den Anspruch auf Altersvorsorgeunterhalt gelten in dieser Hinsicht keine grundlegenden Besonderheiten.
Hat der Unterhaltsberechtigte im Erstverfahren lediglich Elementarunterhalt geltend gemacht, ist eine Nachforderung von Vorsorgeunterhalt im Wege eines neuen Leistungsantrags nur dann zulässig, wenn sich der Unterhaltsberechtigte diese Nachforderung im Erstverfahren vorbehalten hat.
6. Umdeutung des unzulässigen Nachforderungsantrags in einen Abänderungsantrag
Der Unterhaltsberechtigte kann eine Erhöhung des im Erstverfahren titulierten Unterhalts wegen des nicht geltend gemachten Vorsorgebedarfs zwar noch mit einem Abänderungsantrag erreichen.
Lagen jedoch – wie hier – die Voraussetzungen für die Geltendmachung des Vorsorgeunterhalts bereits im Erstverfahren vor, kann eine wesentliche Änderung der tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse (§ 238 Abs. 1 Satz 2 FamFG) nicht allein mit dem nachträglich gefassten Entschluss begründet werden, nunmehr auch einen – im Erstverfahren möglicherweise „vergessenen“ – Altersvorsorgebedarf nachträglich geltend machen zu wollen.
7. Zulässigkeit eines Abänderungsantrags
Erst wenn eine Anpassung des bestehenden Unterhaltstitels durch eine wesentliche Änderung der für die Unterhaltsbemessung in der Erstentscheidung maßgeblichen tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse eröffnet wird, kann auch Vorsorgeunterhalt verlangt werden.
Praxishinweis:
In der Anwaltspraxis ist zu beachten, dass im gerichtlichen Leistungsverfahren in einschlägigen Fällen – also bei ausreichender Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen – Vorsorgeunterhalt tatsächlich auch geltend gemacht werden sollte. Wird dies in diesem Verfahren versäumt und ergeht ein gerichtlicher Zahlungstitel ohne Vorsorgeunterhalt, kann der versäumte Vorsorgeunterhalt nicht rückwirkend geltend gemacht werden. Zusätzlicher Unterhalt kann nur dann im Wege eines Zusatz- oder Nachforderungsantrags gefordert werden, wenn sich der schon vorliegende Unterhaltstitel eindeutig nur auf einen Teilbetrag des geschuldeten Unterhalts beschränkt. Dies ist jedoch nur dann anzunehmen, wenn im Vorprozess ausdrücklich erklärt oder aus den Umständen eindeutig zu entnehmen war, dass die in bestimmter Höhe begehrten wiederkehrenden Leistungen nur einen Teil einer an sich höheren Forderung darstellen. Im Zweifel ist davon auszugehen, dass Unterhalt in voller Höhe geltend gemacht wird, sodass die Vermutung gegen das Vorliegen eines Teilantrags spricht. Der Anspruch auf Altersvorsorgeunterhalt ist auch im Zusammenhang mit der Erörterung ehebedingter Nachteile bei der Herabsetzung und zeitlichen Begrenzung des nachehelichen Unterhalts gem. § 1578b BGB von Bedeutung. Ist der ehebedingte Nachteil darin zu sehen, dass der Unterhaltsberechtigte nach der Scheidung – und damit in einem vom Versorgungsausgleich nicht mehr erfassten Zeitraum – weiterhin in seiner beruflichen Entwicklung und Entfaltung eingeschränkt ist, ist dieser Nachteil durch die Zahlung von Vorsorgeunterhalt für diesen Zeitraum ausgeglichen, nach der Rechtsprechung des BGH aber auch dann, wenn Altersvorsorgeunterhalt hätte geltend gemacht werden können (BGH, Beschl. v. 26.02.2014 – XII ZB 235/12, DRsp-Nr. 2014/5700). Tipp: Achten Sie verstärkt auf den Altersvorsorgeunterhalt! Die Konsequenz aus dieser Entscheidung ist, dass Sie in der Anwaltspraxis verstärkt auch auf die Geltendmachung von Altersvorsorgeunterhalt achten müssen. Denn der Unterhaltsberechtigte dürfte wenig Verständnis dafür zeigen, dass ihm das FamG im Unterhaltsrechtsstreit einen unbegrenzten Aufstockungsunterhalt mit der Begründung verweigert, er hätte neben dem Elementarunterhalt auch Vorsorgeunterhalt beanspruchen können. Dabei besteht sogar die Gefahr der Anwaltshaftung. Denn der Anwalt eines Unterhaltsberechtigten macht sich regresspflichtig, wenn er ihn nicht auf die Möglichkeit der Geltendmachung von Altersvorsorgeunterhalt hinweist (OLG Düsseldorf, Beschl. v. 09.06.2009 – I-24 U 133/08, DRsp-Nr. 2009/18868). |
Weiterer Aufsicht führender Richter am AG Dr. Wolfram Viefhues, Oberhausen