Wechselmodell und Kindergeld: Isolierter Ausgleich möglich?

Ein ewiger Streitpunkt beim Wechselmodell ist die Verrechnung des Kindergeldes. Eine aktuelle Entscheidung des BGH schafft insofern Klarheit, als ein isolierter Ausgleich des Kindergeldes zulässig ist.

BGH, Beschl. v. 20.04.2016 – XII ZB 45/15

Der Sachverhalt: Die Beteiligten sind geschiedene Ehegatten, die ihre drei gemeinsamen minderjährigen Kinder paritätisch und somit in einem Wechselmodell betreuen. Keiner der Beteiligten zahlt bislang Kindesunterhalt an den anderen. Die Antragsgegnerin bezieht das gesetzliche Kindergeld für alle drei Kinder. Der Antragsteller nimmt sie auf Auskehrung des hälftigen Kindergeldes in Anspruch.

Familienrechtlicher Ausgleichsanspruch auf Auskehrung des hälftigen Kindergeldes

Bei einem Wechselmodell kann sich ein Anspruch des Antragstellers auf Auskehrung des hälftigen Kindergeldes aus dem rechtlichen Gesichtspunkt des familienrechtlichen Ausgleichsanspruchs ergeben.

Der familienrechtliche Ausgleichsanspruch ist i.d.R. für solche Fälle anerkannt, in denen ein Elternteil für den Unterhalt eines gemeinsamen Kindes aufgekommen ist und dadurch dessen Unterhaltsanspruch erfüllt hat, obwohl (auch) der andere Elternteil ganz oder teilweise unterhaltspflichtig war.

 

Der Anspruch ergibt sich aus der Notwendigkeit, die Unterhaltslast im Verhältnis zwischen ihnen entsprechend ihrem Leistungsvermögen gerecht zu verteilen.

Der Anspruch eines Elternteils auf Ausgleich des dem anderen Elternteil gezahlten Kindergeldes ist ein Unterfall des familienrechtlichen Ausgleichsanspruchs, durch den auch solche staatlichen Leistungen ausgeglichen werden können, die beiden Elternteilen zur Erleichterung des Kindesunterhalts zugutekommen sollen, aber nur einem Elternteil tatsächlich zugeflossen sind.

Auch wenn die in § 1612b Abs. 1 BGB geregelte bedarfsmindernde Anrechnung des Kindergeldes auf den Unterhalt einen besonderen Ausgleich zwischen den Eltern i.d.R. entbehrlich macht, handelt es sich bei dem Anspruch auf Familienlastenausgleich um ein eigenes Recht des jeweiligen Elternteils, der den anderen Elternteil auch unmittelbar auf Auszahlung des – ggf. anteiligen – Kindergeldes in Anspruch nehmen kann.

Dieser Anspruch auf Auskehrung des Kindergeldes kann selbstständig geltend gemacht werden, wenn und solange es an einem unterhaltsrechtlichen Gesamtausgleich zwischen den unterhaltspflichtigen Eltern fehlt.

In der Regel wird die Hälfte des Kindergeldes bedarfsmindernd bei der Berechnung des Barunterhalts berücksichtigt.

Halbanrechnung des Kindergeldes

Die gem. § 1612b Abs. 1 Nr. 1 BGB vorgesehene Halbanrechnung des Kindergeldes beruht auf der Erwägung, betreuende Elternteile mit der anderen Hälfte des Kindergeldes bei der Erbringung ihrer Betreuungsleistungen zu unterstützen. Dieser Zweck wird bei der gleichwertigen Betreuung des Kindes durch beide Elternteile im Rahmen eines Wechselmodells nicht verfehlt.

Dagegen würde eine vollständige Anrechnung des gesetzlichen Kindergeldes auf den Barunterhaltsbedarf den Kindergeldausgleich im Hinblick auf die im Wechselmodell gleichwertig erbrachten Betreuungsleistungen zugunsten des besser verdienenden Elternteils verzerren.

§ 1606 Abs. 3 Satz 2 BGB ist beim Wechselmodell i.d.R. nicht anwendbar, sodass die im Rahmen eines Wechselmodells geleistete Kinderbetreuung keinen Elternteil von der Barunterhaltspflicht befreit. Als gleichwertig sind deswegen beim Wechselmodell nur die von den Eltern erbrachten paritätischen Betreuungsleistungen anzusehen.

Die auf den Barunterhalt entfallende Hälfte des Kindergeldes ist nach dem Maßstab der Einkommensverhältnisse der Eltern (§ 1606 Abs. 3 Satz 1 BGB) zu verteilen. Verlangt der nicht kindergeldbezugsberechtigte Elternteil insoweit die Hälfte des auf den Barunterhalt entfallenden Kindergeldanteils, ist es i.d.R. seine Sache, die Haftungsanteile der Eltern am Barunterhalt darzulegen und zu beweisen.

Folgen der hälftigen Anrechnung

Die hälftige Anrechnung des Kindergeldes auf den Barbedarf des Kindes nach § 1612b Abs. 1 Nr. 1 BGB hat beim Wechselmodell zur notwendigen Folge, dass der besser verdienende Elternteil durch das Kindergeld in einem größeren Umfang entlastet wird. Ist der schlechter verdienende Elternteil unterhaltsrechtlich nicht leistungsfähig, kommt der auf den Barunterhalt entfallende Anteil des Kindergeldes infolge der Anrechnung allein dem leistungsfähigen Elternteil zugute.

Dagegen steht der auf den Betreuungsunterhalt entfallende Anteil am Kindergeld den Elternteilen beim Wechselmodell aufgrund der von ihnen gleichwertig erbrachten Betreuungsleistungen hälftig zu. Auch wenn ein Elternteil nur über Einkünfte unterhalb des notwendigen Selbstbehalts verfügt und sich deswegen an der Aufbringung des Barunterhalts nicht beteiligen muss, kann er vom anderen Elternteil im Wege des familienrechtlichen Ausgleichsanspruchs jedenfalls die Auskehrung eines Viertels des Kindergeldes – nämlich der Hälfte des auf den Betreuungsunterhalt entfallenden Anteils am Kindergeld – verlangen.

Folgerungen aus der Entscheidung: Isolierter Ausgleich zulässig

Die Entscheidung des BGH schafft in einer höchst umstrittenen Frage der Verrechnung des Kindergeldes beim Wechselmodell insofern Klarheit, als ein isolierter Ausgleich zulässig ist. Der nicht kindergeldbezugsberechtigte Elternteil, der vom anderen Elternteil die Hälfte des auf den Barunterhalt entfallenden Kindergeldanteils verlangt, hat die Haftungsanteile der Eltern am Barunterhalt darzulegen und zu beweisen. Dazu sind die beiderseitigen Einkommensverhältnisse offenzulegen.

Der vom BGH als Grundlage für diesen Ausgleich herangezogene familienrechtliche Ausgleichsanspruch unterliegt der Schranke des § 1613 Abs. 1 BGB (so bereits BGH, Beschl. v. 17.04.2013 – XII ZB 329/12). Rückwirkend kann der andere Elternteil daher nur auf Zahlung in Anspruch genommen werden, wenn er zuvor gem. § 1613 Abs. 1 BGB aufgefordert worden ist.

Praxishinweis: Macht bei einem echten Wechselmodell ein Elternteil Eigenaufwendungen für den Bedarf der Kinder – etwa Bekleidung, Schulutensilien oder Taschengeld – geltend, ist es seine Sache, dazu vorzutragen, in welchem Umfang er ohnehin verpflichtet gewesen wäre, den Barbedarf der Kinder zu tragen. Insoweit hat er im Rahmen einer unterhaltsrechtlichen Gesamtabrechnung darzulegen, dass nach Anrechnung der von ihm für die Kinder erbrachten Eigenleistungen auch unter Berücksichtigung des Betreuungsanteils des an ihn gezahlten Kindergeldes dem anderen Elternteil kein Ausgleichsanspruch mehr verbleibt.

Zusammenfassung der Entscheidung: BGH, Beschl. v. 20.04.2016 – XII ZB 45/15

„Ein Anspruch auf Auskehrung des hälftigen Kindergeldes kann sich aus dem familienrechtlichen Ausgleichsanspruch ergeben. Die auf den Barunterhalt entfallende Hälfte des Kindergeldes ist nach den Einkommensverhältnissen der Eltern zu verteilen; BGB § 1606 Abs. 3, BGB § 1612b Abs. 1“

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