Das „Kuckuckskind-Urteil“ des BGH

Nach erfolgreicher Vaterschaftsanfechtung steht dem Scheinvater zur Vorbereitung des Unterhaltsregresses ein Anspruch gegen die Mutter auf „Auskunft über die Person, die ihr während der gesetzlichen Empfängniszeit beigewohnt hat“ zu.

BGH, Urt. v. 09.11.2011 – XII ZR 136/09

„Kuckuckskind-Urteil“ – Darum geht es

Im Frühsommer 2006 trennte sich das in nichtehelicher Lebensgemeinschaft lebende Paar. Im Januar 2007 bekam die Frau einen Sohn. Der Exfreund erkannte die Vaterschaft an und zahlte Unterhalt. Laut einem Vaterschaftsgutachten ist er jedoch nicht der leibliche Vater des Kindes. Der mutmaßliche Vater, der inzwischen Unterhalt zahlt, ist ihm nicht bekannt. Er möchte diesen aber wegen der geleisteten Unterhaltszahlungen in Unterhaltsregress nehmen. Die Mutter wurde auch antragsgemäß zur Auskunft verurteilt.

Wesentliche Entscheidungsgründe des BGH

Nach Ansicht des BGH schuldet die Mutter ihrem Exfreund Auskunft über die Person, die ihr während der Empfängniszeit beigewohnt hat. Der Anspruch ergibt sich zwar nicht unmittelbar aus § 1605 BGB, aber aus Treu und Glauben gem. § 242 BGB.

Treu und Glauben gebieten es grundsätzlich, dem Anspruchsberechtigten einen Auskunftsanspruch zuzubilligen, wenn der Anspruchsberechtigte in entschuldbarer Weise über das Bestehen oder den Umfang seines Rechts im Ungewissen ist, und der Verpflichtete in der Lage ist, unschwer die zur Beseitigung dieser Ungewissheit erforderlichen Auskünfte zu erteilen (BGH, Urt. v. 06.02.2007 – X ZR 117/04).

Begründung der Auskunftsverpflichtung

Diese Voraussetzungen sind hier gegeben, denn auf Aufforderung und mit Zustimmung der Mutter erkannte der Exfreund die Vaterschaft an. Das OLG hat daraus eine Garantenstellung der Mutter für die Möglichkeit eines Unterhaltsregresses ihres Expartners abgeleitet.

Die Auskunftsverpflichtung berührt das Persönlichkeitsrecht der Mutter nach Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG. Dieser Schutz wird durch die Rechte anderer beschränkt.

Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts

Einen Eingriff in den unantastbaren Bereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts sieht der BGH jedoch nicht, weil die Mutter bereits durch ihr früheres Verhalten Tatsachen ihres Geschlechtsverkehrs während der Empfängniszeit offenbarte. Durch ihre Zustimmung zur Vaterschaftsanerkennung und die fehlende Äußerung von Zweifeln hinsichtlich der Vaterschaft verursachte sie selbst die bestehende Situation, sodass auch keine verfassungsrechtlichen Bedenken bestehen, sie zur Auskunft zu verurteilen. Der Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts der Mutter wiegt hier nicht schwerer als der ebenfalls geschützte Anspruch ihres Expartners auf effektiven Rechtsschutz aus Art. 20 Abs. 3 i.V.m. Art. 2 Abs. 1 GG zur Durchsetzung seines Unterhaltsregresses nach erfolgreicher Vaterschaftsanfechtung.

Anforderungen an die erforderliche Sonderverbindung

Voraussetzung für den Auskunftsanspruch ist, dass zwischen den Beteiligten eine Verbindung oder Rechtsbeziehung besteht, die auch aus einem besonderen familienrechtlichen Verhältnis unmittelbar zwischen den Beteiligten bestehen kann. Für die erforderliche Sonderverbindung genügt laut der Vorinstanz (OLG Schleswig, Urt. v. 23.06.2009 – 8 UF 16/09) jeder qualifizierte soziale Kontakt, weshalb die durch ein nichtiges Rechtsgeschäft entstandene Rechtsbeziehung – hier: Anerkennung der Vaterschaft, Gewährung von Betreuungsunterhalt – ausreicht.

Prozessuales Vorgehen

Diese Entscheidung sichert die Einhaltung einer bestimmten Verfahrensreihenfolge. Mit erfolgreicher Vaterschaftsanfechtung erfolgt die Feststellung, dass der Anfechtende nicht der Vater des Kindes ist und das Vater-Kind-Verhältnis rückwirkend zum Tag der Geburt des Kindes aufgehoben wird. Erst nach diesem Anfechtungsverfahren kann der leibliche Vater wegen der zu Unrecht geleisteten Unterhaltszahlungen in Regress genommen werden. Zur Durchsetzung dieses Unterhaltsregressanspruchs muss die Mutter mit ihrer Auskunft beitragen.

 

Praxishinweis
Ist der Anspruch auf Nennung des leiblichen Vaters tituliert, so lässt er sich gegen die Mutter des Kindes auch durchsetzen. Ungeachtet seiner weiteren familiären Bindung zur Mutter oder dem Kind soll es dem Scheinvater ermöglicht werden, seine Unterhaltsleistungen von demjenigen erstattet zu verlangen, an dessen rechtlicher Stelle er geleistet hat. Diese Entscheidung unterstützt erneut die Unterhaltsregressansprüche des Scheinvaters, der trotz moralischen Pflichtgefühls gegenüber dem Kind „ohne schlechtes Gewissen“ sein Recht auf Auskunft und insbesondere auch auf Erstattung der Unterhaltszahlungen verfolgen können soll.

Erfüllt die Mutter den Auskunftsanspruch nicht freiwillig, so kann er vollstreckt werden. Denn der BGH (Beschl. v. 03.07.2008 – I ZB 87/06) hat bereits entschieden, dass der titulierte Anspruch auf Nennung des Vaters vollstreckbar ist, weil der Eingriff in die Grundrechte der auskunftspflichtigen Mutter durch die Vollstreckung nicht über das Maß hinaus vertieft wird, in dem ihre grundrechtlich geschützten Interessen bereits durch die Verurteilung berührt sind.

 

von Rechtsanwältin Nicole Seier, Gelsenkirchen

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